Dienstag, 26. Januar 2010

Vorurteilsmaschine Hartz-IV

Die Taz (s.h. dort) schreibt heute, am 26.10.2010 einen wie ich meine sehr wichtigen Beitrag zu den Vorurteilen, die Hartz-IV-Empfängern gerade unverschämterweise entgegengebracht werden.


Letztendlich geht es den Politikern doch nur darum die nächsten Kürzungen vorzubereiten und davon abzulenken, dass sie keine Jobs schaffen wollen/können.


Solange der Text bei der Taz zu lesen ist, tut dies bitte dort. Ansonsten kommt der Text von Barbara Dribbusch als Zitat in voller länge:






Auch die sich gerne intellektuell gebende Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung beteiligt sich an der Hetze. "Arbeit lohnt sich kaum", rügt das Blatt in einem Artikel über Alleinerziehende, und bezeichnet die Mütter auf Hartz IV als "Hätschelkinder" des Wohlfahrtsstaats.

 

Zuvor schon hatte die Bild geklagt: "Für viele lohnt sich Arbeiten kaum noch". Der Spiegel wies darauf hin, dass sich eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder schwerlich rechtfertigen ließe, auch weil es schon viele Extrasozialleistungen wie etwa Suppenküchen für arme Familien gebe.

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Der hessische Ministerpräsident und CDU-Parteivize Roland Koch rügte medienwirksam die "Perversion des Sozialstaatsgedankens" durch den Leistungsbezug. All diese Äußerungen stammen aus den vergangenen Tagen.

 

Es ist paradox: Hartz-IV-Empfänger geraten immer dann unter Schmarotzerverdacht, wenn es enger wird auf dem Jobmarkt. Wenn die Löhne sinken, wenn es schwieriger wird, eine auskömmliche Stelle zu finden, dann entdecken Meinungsmacher die Schwachen, um draufzuhauen. Anstatt über höhere Löhne zu sprechen, stellt man lieber die Sozialleistungen in Frage. Hartz IV wird zur Vorurteilsmaschine.

 

Genug Anlass, um die gängigsten Vorbehalte auf Tatsachen zu überprüfen.

 

Vorurteil 1: Wer Hartz IV bezieht, bekommt unter Umständen genauso viel Geld wie jemand, der hart arbeitet

 

Die Tatsachen:

 

Man muss schon ein bisschen herumrechnen, um dieses Vorurteil zu entkräften. Ein Erwerbstätiger mit Familie und auch eine arbeitende Alleinerziehende haben immer ein höheres Einkommen als eine Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft gleicher Konstellation, weil sie im Zweifelsfall aufstockendes Arbeitslosengeld II erhalten plus einen Freibetrag. Dieser Freibetrag liegt bei maximal 310 Euro im Monat.

 

Eine schematische Rechnung: Eine vierköpfige Familie mit zwei Grundschulkindern, die Leistungen nach Hartz IV bezieht, also Arbeitslosengeld II plus Sozialgeld für die Kinder erhält, kommt inklusive der Mieterstattung auf ein Nettoeinkommen von 1.666 Euro vom Jobcenter.

 

Ein alleinverdienender Beschäftigter in gleicher familiärer Situation mit einem Einkommen von rund 1.600 brutto im Monat kommt inklusive Kindergeld zwar auch nur auf ein Nettoeinkommen von rund 1.644 Euro für die Familie. Doch unter Abzug seines Freibetrages von 310 Euro liegt dieser Arbeitnehmer samt Familie deutlich unter den Regelsätzen der erwerbslosen Familie und kann daher aufstockende Leistungen nach Hartz IV beziehen, in diesem Fall 332 Euro.

 

Das Gesamteinkommen der Arbeitnehmerfamilie klettert damit auf 1.976 Euro, liegt also deutlich über dem des Hartz-IV-Haushalts.

 

Eine ähnliche Rechnung ließe sich auch für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern aufmachen. Um die aufstockende Leistung nach Hartz IV zu bekommen, muss diese Arbeitnehmerfamilie aber eine Bedürftigkeitsprüfung über sich ergehen lassen, also Vermögensverhältnisse, Wohn- und genaue Lebensverhältnisse offenlegen.

 

Sinnvoll wäre hier, über eine Einführung des britischen Modells der negativen Einkommensteuer nachzudenken. Dort bekommen Niedrigverdiener, die wenigstens 30 Stunden wöchentlich arbeiten, eine Lohnaufstockung auch ohne aufwendige Vermögensprüfung. Alleinerziehende müssen mindestens 16 Stunden arbeiten.

 

Vorurteil 2:

 

Weil es Hartz IV gibt, bemühen sich die Leute weniger um einen Job.

 

Die Tatsachen: Für die Mehrheit gilt das nicht. Laut Betriebsbefragungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bemühten sich joblose Bewerber seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze häufiger als früher auch um Arbeitsplätze, die sie zuvor nicht angenommen hätten. "Etwa jeder fünfte Betrieb gab an, dass die Konzessionsbereitschaft arbeitsloser Bewerber in Hinblick auf die Lohnhöhe, die Arbeitsbedingungen und das Qualifikationsniveau der Stelle gestiegen war", heißt es in einem IAB-Bericht vom Oktober 2007. Das Schreckgespenst Hartz IV hat die Bereitschaft eher gesteigert, auch schlechter bezahlte Jobs etwa in der Zeitarbeit zu akzeptieren.

 

Alleinerziehende bleiben verhältnismäßig lange im Hartz-IV-Bezug. Der wichtigste Grund ist klar: Das Kind muss betreut werden, das schränkt die Flexibilität ein und auch die Belastbarkeit. Unter den Alleinerziehenden sind zudem viele junge Mütter mit wenig Berufserfahrung oder gar abgebrochener Ausbildung, die deswegen schlechte Voraussetzungen mitbringen für die Jobwelt, heißt es in einem IAB-Bericht. Viele Alleinerziehende machen einen Teilzeitjob und bekommen aufstockende Hartz-IV-Leistungen - auch sie zählen als Leistungsempfängerinnen.

 

Dass die Mütter sich in der Regel nicht gemütlich "einrichten" mit der Stütze, zeigt die Tatsache, dass der Ausstieg aus Hartz IV leichter gelingt, wenn die Kinder größer sind. Leben im Haushalt nur Schulkinder, so haben 56 Prozent der Leistungsbezieherinnen nach zweieinhalb Jahren den Bezug verlassen.

 

Vorurteil 3:

 

Viele richten sich ein mit dem Bezug von Hartz IV und einem kleinen Nebenverdienst plus Schwarzarbeit.

 

Die Tatsachen:

 

An diesem Vorurteil ist ein bisschen was dran. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gibt es etwa 1,3 Millionen "Aufstocker", die durch Arbeit noch etwas dazuverdienen. 30 Prozent der Nebenverdiener geben nur ein Arbeitseinkommen von monatlich höchstens 200 Euro an. Das liegt weit unter der Minijobgrenze von 400 Euro. Der Verdacht, dass hier tausende von Leistungsempfängern nur ein geringes Nebeneinkommen anzeigen, weil die ersten 100 Euro Hinzuverdienst anrechnungsfrei sind und nebenbei noch schwarz gearbeitet wird, ist also nicht ganz von der Hand zu weisen.

 

Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) spricht von "BAT-Einkommen" ("Bar auf Tatze"). Das ist die Mischung aus einem offiziell angegebenen niedrigen Verdienst, um im Zweifelsfall bei einer Gewerbekontrolle den Beschäftigten wenigstens legal in den Büchern stehen zu haben, plus "schwarz" gezahltem Zusatzgeld.

 

Man kann die "BAT-Verdiener" aber nicht herausfiltern, ohne die anderen zu schädigen. Wenn die ersten 200 Euro Nebenverdienst künftig voll angerechnet werden, wie es Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fordert, dann würde darunter auch die Alleinerziehende leiden oder der Rollstuhlfahrer, der tatsächlich nicht mehr Nebenverdienst schafft als eben diese 200 Euro. Davon kann er oder sie heute immerhin 120 Euro behalten - eine entscheidende Summe für mehr Lebensqualität.

 

Vorurteil 4:

 

Hartz IV ist Gleichmacherei, weil es jeder kriegt, egal ob er in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat oder nicht.

 

Die Tatsachen:

 

Ein häufiges Argument, das die Empfänger des Arbeitslosengeldes II in zwei Gruppen einteilt. Da sind die einen, die ehemaligen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, die viele Jahre schufteten, in die Arbeitslosenversicherung einzahlten und nun, oft jenseits des 50. Lebensjahrs, unverschuldet in die Dauererwerbslosigkeit abgerutscht sind. Dann gibt es die zweite Gruppe, die nie in die Versicherung einzahlte und trotzdem angeblich unfairerweise dieselbe Leistung bekommt.

 

Nun wurde die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I aber schon verlängert. Das Argument übersieht außerdem, dass es auch unter den "Nichteinzahlern" viele Gründe gibt, Hartz IV zu bekommen.

 

Da ist die große Gruppe der Alleinerziehenden, die eine Erziehungsleistung erbringen. Dann gibt es die chronisch Kranken, die zwar noch drei Stunden am Tag arbeiten können, aber deswegen noch lange keinen Job finden in der Hochleistungsgesellschaft. Dann ist da noch die Gruppe der gescheiterten Selbstständigen oder kleinstverdienenden Freiberufler, die zwar nie eingezahlt haben in die Arbeitslosenversicherung, trotzdem aber gekämpft haben um eine selbsttragende Existenz.

 

Wer will den Unterschied machen, der schon seit dem Mittelalter die Sozialfürsorge beschäftigt, nämlich die Frage, ob jemand zu den "deserving" oder den "undeserving poor" gehört?

 

Am Ende steht die Frage, ob man zur Abstrafung einer Minderheit, die dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden zuwiderhandelt und daher gerne in den Talkshows zitiert wird, die Bedingungen für die Mehrheit der Leistungsempfänger verschlechtern soll.

 

Nur weil fast jeder schon mal von einer Alleinerziehenden auf Hartz IV gehört hat, die einen neuen Lebenspartner verschweigt, kann man nicht ständig Sozialdetektive in Schlafzimmer schicken. Nur weil fast jeder schon mal einen kannte, der von einem arbeitslosen Bauhandwerker wusste, der viel nebenbei schwarz arbeitet, kann man die Leistung nicht generell kürzen. Auch bei den Wirtschaftssubventionen gibt es "Mitnahmeeffekte", dennoch stellt man die Unternehmensförderung nicht ein.

 

Wer Einschränkungen fordert, der sieht in den Beziehern von Hartz-IV-Leistungen nicht die heterogenen, empfindlichen Bevölkerungsgruppen mit oft sehr fragilen Biografien, sondern eine homogene Masse von Schmarotzern unter Generalverdacht. Diese Entdifferenzierung ist wohl eine der schlimmsten Demütigungen, die man SozialleistungsempfängerInnen antun kann.“

 

Dieser Text ist als Zitat von der Seite der taz [http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/die-vorurteilsmaschine/] kopiert!

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